Eine persönliche Erfahrung aus dem Alltag.
Auf einer «Baustelle» an der ich seit Jahrzehnten arbeite, komme ich mit dem Neubau nur zögerlich voran. Ein Teil des alten, maroden Gebäudes ist schon abgerissen. Um irgendwo hausen zu können, habe ich auf einem Teil der Grundfläche mit dem Neubau begonnen und in Vorfreude im oberen Stock ein Zimmer ausgebaut, um zu sehen wie schön das Haus wird, wenn es fertig ist. Dank der Leitung eines «Baumeisters» aus dem obwaldnerischen Flüeli geht’s nun recht zügig voran.
Die Baustelle – vermutlich nicht nur meine – ist der stete Denkzwang der hinderlich ist «bewusst im H i e r und J e t z t » zu leben. Wie zwei durchgebrannte Pferde rennen die Gedanken durch Raum und Zeit und hindern mich effektiv daran glücklich zu werden, zu sein.
«Mein Herr und mein Gott nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir.»
Bewusst leben und die Gedankenflut stoppen – ich bemühe mich ehrlich darum und weiss, oh Gott Du hilfst mir dabei. Reue über die ungenutzte, verlorene Zeit aber auch eine Ahnung, eine leise Vorfreude auf das im Bau befindliche, dannzumal prächtige Bewusstseinshaus.
«Mein Herr und mein Gott nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir.»
«Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu Dir».
Der Bau am Bewusstseinshaus schreitet gut voran, es gelingt mir häufiger die scheuenden Pferde zu bändigen. Sie versuchen zwar immer wieder auszubrechen, aber es gelingt mir zusehends besser ihre Flucht zu vereiteln. Gedankenkontrolle ist kein Fremdwort mehr für mich. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass es mir je länger je mehr gelingt den wilden Gedankenfluss zu stoppen und ins «Hier und Jetzt» umzuleiten – auf die Horizontale der Sinneswahrnehmungen. Doppelt schön ist es, wenn diese in die Vertikale mündet und eine Beziehung schafft zum höheren Ich, zum höheren Du, zum höheren Es.
«Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu Dir».
Der Neubau geht der Fertigstellung entgegen.
«Mein Herr und mein Gott nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir».
Ich darf nun in mein neues Haus einziehen. Die Wünsche, Vorstellungen, Visualisierungen, die ich während den beiden ersten Bauetappen hatte, sind jetzt realisiert. Es erfüllt mich mit grosser Genugtuung und Dankbarkeit Herr meiner Gedankenwelt zu sein. Es ist nicht so, dass die beiden Pferde jetzt zahme Wesen wären, aber ich habe sie gut im Zaum, sodass sie seltener versuchen auszubrechen. Der Meditationsraum in meinem neuen Gebäude heisst Achtsamkeit.
«Mein Herr und mein Gott nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir».
Dem Verfasser der Bauanleitung aus dem Flüeli sei tiefster Dank ausgesprochen.
Replik: Die mangelnde Achtsamkeit ist bei weitem nicht die einzige Baustelle. Das Bruderklausengebet mit den drei Sätzen erachte ich als sehr praktisch um Veränderungen im Leben anzugehen. Sei es das Ablegen von Gewohnheiten, die mir selber oder Mitmenschen missfallen, Ressentiments, Eifersucht, mangelnder Respekt und vieles mehr. Wie schon mal gehört, nur ein Thema gleichzeitig. Mein Herz ist erfüllt von grosser Dankbarkeit für das geschenkte Gebet.
Ein Suchender
Photos von Genevieve Perron-Migneron und Dana Taberima auf Unsplash